11

Die Woche verging. Lisa bewegte sich durch ihre graugeränderten Tage wie eine Schlafwandler in. Allerdings wie eine perfekt angezogene, ein strenges Regiment führende Schlafwandlerin.

Am Freitag hörte der Regen auf und die Sonne kam raus, was unter den Mitarbeitern für große Aufregung sorgte - sie waren wie Kinder am Weihnachtsmorgen. Als sie zur Arbeit eintrudelten, machte jeder eine Bemerkung.

»Was für ein herrlicher Tag!«

»Haben wir es nicht gut mit dem Wetter?«

»Wunderschöner Morgen!«

Bloß, weil es aufgehört hatte zu regnen, dachte Lisa voller Ingrimm.

»Erinnerst du dich noch an letzten Sommer?«, rief Kelvin quer durch das Großraumbüro zu Ashling hinüber, während seine Augen hinter der schwarzgerahmten überflüssigen Brille fröhlich blitzten.

»Und ob«, sagte Ashling. »Das war doch an einem Mittwoch, oder?«

Alle lachten. Alle, außer Lisa.

Später am Vormittag trippelte Mai anmutig in die Redaktion, bedachte alle mit einem mokanten süßen Lächeln und fragte: »Ist Jack da?«

Ein Prickeln der Erregung durchfuhr Lisa. Offensichtlich war dies Jacks Freundin, und was für eine Überraschung! Lisa hatte ein blasses, sommersprossiges irisches Mädchen erwartet, nicht diese kaffeebraune exotische Schönheit.

Ashling, die am Fotokopierer stand und eine Million Pressemitteilungen zur Verteilung an alle Modedesigner und Kosmetikhersteller in der ganzen Welt kopierte, sah ebenfalls auf. Es war die Fingerbeißerin, die mit ihrem kirschroten Mund aussah, als könnte sie kein Wässerchen trüben.

»Haben Sie einen Termin?« Mrs. Morley erhob sich zu ihrer vollen Größe von ein Meter siebenundvierzig und streckte ihre einschüchternde Oberweite vor.

»Sagen Sie ihm, Mai möchte ihn sprechen.«

Nach einem langen, harten Blick trollte Mrs. Morley sich. Während Mai wartete, zwirbelte sie ihr schweres Haar um einen schlanken Finger und sah von oben bis unten aus wie das Objekt aller erotischen Träume. Dann kam Mrs. Morley wieder. »Sie können reingehen«, sagte sie mit unverhohlener Enttäuschung.

In zitronenduftiger Stille ging Mai durch den Raum, doch kaum hatte sich die Tür hinter ihr geschlossen, als ein kollektives Ausatmen zu hören war und alle auf einmal zu reden anfingen.

»Das ist Jacks Freundin«, informierte Kelvin die Neuen - Ashling, Lisa und Mercedes. »Nichts als Ärger, wenn Sie mich fragen«, sagte Mrs. Morley grimmig.

»Da bin ich mir nicht so sicher, Mrs. Morley«, sagte Kelvin lüstern. Mit einem angewiderten Schniefen wandte sich Mrs. Morley ab.

»Sie ist halb irisch und halb vietnamesisch«, ließ der wortkarge Gerry sich vernehmen.

»Die beiden sind wie Hund und Katze«, sagte Trix erregt. »Sie ist richtig gewalttätig.«

»Das ist aber nicht ihre vietnamesische Seite«, sagte Dervla O‘Donneil entschieden und freute sich, Hibernian Bride einen Moment lang beiseite schieben zu können. »Die Vietnamesen sind sehr sanfte und gastfreundliche Menschen. Als ich durch das Land gereist -«

»Oh, nein«, stöhnte Trix, »die Ex-Hippiebraut schwelgt in Erinnerungen. Ich sterbe vor Langeweile.«

Ashling stand immer noch am Kopierer und war mit den Pressemitteilungen beschäftigt, als das Gerät aufstöhnte, ein paarmal Klick machte und vollends verstummte. Auf dem Display erschien eine Mitteilung. »PQ03«, sagte Ashling. »Was soll das bedeuten?«

»PQ03?« Die älteren Mitarbeiter sahen sich an. »Keine Ahnung!«

»Das hatten wir noch nicht.«

»Aber freu dich, normalerweise gibt er nach zwei Kopien auf.«

»Was soll ich jetzt tun?«, fragte Ashling. »Die Pressemitteilungen müssen heute Abend mit der Post raus.«

Sie warf einen Blick zu Lisa hinüber und hoffte auf ein erlösendes Wort von ihr. Aber Lisas Gesichtsausdruck blieb glatt und verschlossen. Am Ende der ersten Woche hatte Ashling erkannt, dass Lisa eine Sklaventreiberin war und eine großartige Vision für die neue Zeitschrift verfolgte. Das war in vielerlei Hinsicht fantastisch, für Ashling jedoch weniger, weil auf ihr die Verantwortung lag, jede einzelne von Lisas Ideen im Alleingang umzusetzen.

»Hat keinen Zweck, einen von denen hier zu bitten, ihn zu reparieren«, sagte Trix und nickte spöttisch in Richtung Gerry, Bernard und Kelvin. »Die machen alles nur noch schlimmer. Jack kann ganz gut mit Maschinen umgehen. - Allerdings würde ich ihn im Moment nicht stören«, fügte sie bedeutungsvoll hinzu.

»Dann mache ich mit was anderem weiter«, sagte Ashling und ging zu ihrem Schreibtisch. Einen Moment lang war sie wie gelähmt von der sich dort türmenden Arbeit. Dann beschloss sie, mit der Aufstellung der Liste der hundert interessantesten und talentiertesten und attraktivsten Menschen in Irland weiterzumachen. Jeder hatte eine Chance, auf die Liste zu kommen, ob DJ, Friseur, Schauspieler oder Journalist. Und kaum hatte Ashling die Namen notiert, arrangierte Trix ein Frühstück, Mittagessen oder Abendessen mit ihnen für Lisa, denn Lisa machte einen Schnellkurs darin, wie man den inneren Kreis der irischen Gesellschaft, wo die Macht lag und die Dinge bewegt wurden, infiltriert.

»Bei so vielen Essenseinladungen bist du hinterher eine richtige Tonne.« Trix lachte.

Lisa lächelte spöttisch. Bloß weil man etwas bestellt hatte, musste man es noch lange nicht essen.

Im Büro summte es vor Geschäftigkeit, als sich Jacks Büro öffnete und Mai es mit raschen Schritten verließ. Alle rissen erwartungsvoll die Köpfe hoch, und sie wurden nicht enttäuscht. Mai machte einen Versuch, die Ausgangstür hinter sich zuzuschlagen, was ihr jedoch nicht gelang, weil ein Keil die Tür offenhielt, also musste sie sich damit zufriedengeben, ihr einen heftigen Tritt zu versetzen.

Sekunden später kam Jack heraus, auch er eiligen Schrittes. Sein Blick war finster, sein Gesicht umwölkt, und mit seinen langen Beinen war er im Begriff, Mai einzuholen. Aber auf halbem Weg durch die Redaktion schien er sich zu besinnen und blieb stehen. »Ach, Scheiße«, sagte er und schlug mit der Faust auf den Fotokopierer. Der gab ein Sirren von sich, machte Klick und begann, Seite um Seite auszuspucken. Er funktionierte wieder!

»Wir haben die Technologie! Jack Devine ist unsere Rettung«, sagte Ashling und fing an zu klatschen. Die anderen stimmten ein. Jack sah sich böse um, als alle ihm applaudierten, und dann, welch freudige Überraschung, fing er an zu lachen. Auf der Stelle war er wie verwandelt und sah jünger und netter aus.

»Es ist der Wahnsinn«, murmelte er.

Ashling war ganz seiner Meinung.

Jack war verunsichert. Sollte er Mai hinterhergehen oder... Da sah er auf Ashlings Schreibtisch eine Schachtel Zigaretten, aus der eine Zigarette herausstak. Offiziell war es ein Nichtraucherbüro, aber es herrschte das allgemeine Einverständnis, dass geraucht werden durfte. Nur der langweilige Bernard rauchte nicht. Er hatte sogar Schilder um sich herum aufgestellt mit der Aufschrift: »Bitte nicht rauchen. Danke!« Und er hatte einen kleinen Ventilator.

Mit einem Hochziehen der Augenbrauen fragte Jack wortlos: »Darf ich?« und zog die Zigarette mit den Lippen heraus. Er strich ein Streichholz an, zündete die Zigarette an, löschte das Streichholz mit einer kräftigen Handbewegung und nahm einen tiefen Zug.

Ashling verfolgte jede seiner Bewegungen. Sie empfand Widerwillen, konnte jedoch den Blick nicht abwenden.

»Anscheinend bin ich mit der falschen Frau zusammen, wenn ich mit dem Rauchen aufhören will«, sagte er und ging wieder in sein Büro.

»Ich brauche eure Hilfe, Mädels«, verkündete Dervla O‘Donnell mit dröhnender Stimme und schreckte die anderen hoch. Sie stand von der Modestrecke für die Herbstausgabe von Hibernian Bride auf, wobei ihr dreiteiliger Übergrößen-Seidenstrickanzug raschelte, und fing an, auf und ab zu gehen. »Was trägt der gutangezogene Hochzeitsgast im Herbst 2000? Was ist das Neueste, was ist im Kommen, was ist aktuell?«

»Also, wie ich sehe, liegt das Doppelkinn entschieden im Trend, meine Gute«, sagte Lisa spitz und deutete mit dem Kopf auf Dervlas Mehrfachkinn.

Ein schockiertes Einatmen ging nahtlos in Gelächter über, was Lisa freute. Sie war stolz auf ihre spitze Zunge und die Macht, die sie damit ausübte.

Dervla war starr vor Staunen, doch da ihre Kollegen lachten, versuchte auch sie, ein gutmütiges Lächeln zustande zu bringen.

»So geht‘s uns doch gut, oder?« Mit gespielter Munterkeit hob Jack sein Glas zu Kelvin und Gerry. »Ohne Frauen, die uns das Leben schwermachen können.«

Kelvin ließ den Blick durch den Pub schweifen. Unter den Freitagabendgästen waren nicht wenige Frauen.

»Aber keine sitzt bei uns und geht uns auf die Nerven«, präzisierte Jack.

»Ich hätte nichts dagegen, wenn Lisa dabei wäre«, sagte Kelvin. »Mein Gott, sie ist eine Schönheit.«

»Eine Wucht.« Gerry fühlte sich aufgefordert, ihm zuzustimmen.

»Ist dir schon mal aufgefallen, dass ihre Brustwarzen einem durch den Raum folgen, auch wenn sie die Augen nicht bewegt?«, fragte Kelvin.

Sowohl Gerry als auch Jack waren ein bisschen verdutzt von dieser Bemerkung.

»Mercedes ist aber auch nicht übel«, schwärmte Kelvin.

»Sie ist stumm wie ein Fisch«, sagte Gerry kurz und bündig.

Kelvin grinste Gerry an. »Ich bin auch nicht an ihrem sprühenden Witz interessiert.«

Sie lachten und stießen sich in anzüglichem Einverständnis in die Rippen.

»Schieb mal den Aschenbecher rüber, Kelvin«, unterbrach Jack. Kelvin tat, worum er gebeten worden war, worauf Jack mit einem unglücklichen Lachen sagte: »Das letzte Mal, als ich jemanden darum gebeten habe, hat sie gesagt: ›Du hast mir mein Leben kaputtgemacht, du Arsch‹.«

Gerry und Kelvin wanden sich unbehaglich. Jack zerstörte die gute Freitagabendstimmung.

»Am besten, man lässt die Finger davon«, riet Kelvin, dann machte er einen mannhaften Versuch, die Dinge in eine ungefährliche Richtung zu steuern. »Ist Ashling nicht ein Schatz?«

»Doch. Wie eine jüngere Schwester«, fand auch Gerry.

»Und hübsch«, fügte Kelvin großzügig hinzu. »Allerdings nicht so atemberaubend wie Lisa oder Mercedes.«

Beklommenheit stieg in Jack auf - in Ashlings Nähe fühlte er sich unwohl. Beinahe empfand er so etwas wie Scham, vielleicht auch nur Genervtheit.

»Ich will ja nur sagen«, nahm Jack den Faden wieder auf, »ist es nicht schön, dass wir keine Frauen bei uns haben? Und wenn ich sage, dass es ein schöner, sonniger Abend ist, dann sagt mir keiner ins Gesicht: ›Verpiss dich, du Penner! Ich bereue, dass ich dir je begegnet bin.«‹

Mit einem übertriebenen Seufzer gab Kelvin nach. »Also ist es wieder vorbei mit Mai?«

Jack nickte.

»Kannst du es nicht mal gut sein lassen?«

»Ihr streitet die ganze Zeit«, war Gerrys Analyse.

»Sie treibt mich zum Wahnsinn«, beharrte Jack frustriert. »Ihr wisst nicht, wie das ist.«

»Natürlich weiß ich das! Ich bin verheiratet«, sagte Gerry.

»So meine ich das nicht -«

»Lieben und loslassen«, sagte Kelvin mit einem lüsternen Grinsen. »Das ist mein Motto. Oder noch besser: Nicht lieben und loslassen.«

Und damit war das Thema Gefühle in Kelvins Augen hinreichend besprochen.

Wenn man bedachte, wie froh alle gewesen waren, als Jack anfing, Mai zu umwerben! Ein Jahr war vergangen, seit Dee, seine langjährige Freundin, ihn plötzlich verlassen hatte, und es tat gut, ihn wieder mit einer Frau zu sehen. So dachten sie zumindest am Anfang. Aber nachdem der erste Liebesrausch vorbei war - er dauerte kaum vier Tage -, schien Jack mit Mai fast so unglücklich wie nach der Trennung von Dee. Um Jack von dem Thema Frauen abzulenken, fragte Kelvin ihn: »Wie ist der Stand der neuen Auseinandersetzungen mit der Gewerkschaft im Fernsehstudio?«

»Die sind geklärt«, knurrte Jack. »Bis zum nächsten Mal.«

»Himmel. Darum beneide ich dich nicht.« Kelvin wusste, dass es für Jack ein ständiger Balanceakt war, den Forderungen der Geschäftsleitung, denen der Gewerkschaft und denen der Anzeigenkunden gerecht zu werden. Kein Wunder, dass er dauernd gestresst war.

»Und die Zuschauerzahlen steigen«, sagte Gerry.

»Wirklich?«, rief Kelvin, ohne wirklich interessiert zu sein. »Alle Achtung, Jack.« Zu Gerry sagte er: »Die nächste Runde ist deine. Hol deinem wunderbaren Chef mal ein Bier.«

Autos, dachte Kelvin. Das wäre ein gutes Gesprächsthema.

Lisa verließ am Freitagabend als Letzte die Redaktion. Die Straßen, in denen sich die Menschen drängten, glitzerten in der untergehenden Sonne. Sie schob sich durch die gut gelaunten Vergnügungssuchenden, die vor den Pubs in den Straßen um Temple Bar standen, und machte sich auf den Weg nach Christchurch. Schwache Erinnerungen stiegen in ihr hoch, an sonnige Freitagabende, als sie mit Oliver am Fluss bei Hammersmith mit einem Glas Cidre gesessen hatte, friedlich und befreit nach einer harten Woche.

War sie das wirklich gewesen?

Sie schob den Gedanken an Oliver beiseite und wandte sich anderen Dingen zu, als sie plötzlich ein Paar weiße Beine mit roten Striemen unter einem Pub tisch hervorlugen sah. Trix!

Zu Ehren des blauen Himmels und der steigenden Temperaturen hatte Trix sich in der Mittagspause auf der Damentoilette die Beine rasiert und sie mit blutigen Kratzern unbekümmert der Welt gezeigt. Ashling hatte fast alle ihre Pflaster herausrücken müssen.

Lisa eilte weiter und tat so, als hätte sie nicht gesehen, wie Ashling sie winkend einlud, sich dazuzusetzen.

Anscheinend hatte das gute Wetter auch Ashling auf die Idee gebracht, ihre Beine zu enthaaren, denn Lisa hatte gehört, wie Ashling einen Termin für eine Wachsbehandlung in der Mittagspause machte. Offenbar legte sie es nicht darauf an, eine Gratisbehandlung zu bekommen, und war bereit, wie jede normal Sterbliche den vollen Preis zu bezahlen. Aber wenn Ashling nicht so gewieft war, ihre Position als stellvertretende Chefredakteurin zu nutzen - besser gesagt, zu missbrauchen -, dann war es nicht Lisas Aufgabe, sie darüber aufzuklären.

Die Chance, dass Lisa jemandem wie Ashling Freundlichkeit entgegenbringen würde, war von Anfang an gering gewesen, aber seit Ashling sie beim Weinen ertappt und ihr mit einer gewissen Zärtlichkeit geholfen hatte, war Lisa sehr gegen sie eingenommen.

Sie war auch gegen Mercedes eingenommen, aber aus ganz anderen Gründen. Die stille, in sich ruhende Mercedes verstörte sie.

Als Ashling nach dem Gespräch mit dem Kosmetiksalon den Hörer aufgelegt hatte, brachte Lisa die ganze Belegschaft zum Lachen, indem sie sagte: »Jetzt bist du dran, Mercedes. Es sei denn, Affenbeine sind diesen Sommer der letzte Schrei.«

Mercedes warf Lisa einen bösen Blick zu, so böse, dass Lisa ihre nächste Bemerkung, dass nämlich die dunkelhäutige Mercedes der ideale Typ für Koteletten und einen Oberlippenbart war, nicht über die Lippen brachte. »He, war nur ein Witz«, sagte Lisa mit einem süffisanten Lächeln und stellte Mercedes damit nicht nur als haarig, sondern auch noch als humorlos dar.

Um sowohl Ashling als auch Mercedes das Leben schwerzumachen, war Lisa besonders reizend zu Trix. Mit dieser Methode, die sie, nach dem Motto »teile und herrsche«, auch schon früher angewandt hatte, erwarb sie sich Macht. Man erkor eine Mitarbeiterin zum Liebling, überschüttete sie mit Freundlichkeit, ließ sie dann plötzlich sitzen und schenkte einer anderen seine Gunst. Indem man das reihum machte, flößte man Liebe und Furcht ein.

Jack war davon ausgenommen; zu ihm, so nahm sie sich vor, würde sie die ganze Zeit nett sein. Er war der Einzige in ihrem Leben, der ihr Hoffnung gab. Sie hatte diskret sein Verhalten ihr gegenüber beobachtet, und es war anders als bei den anderen Frauen in der Redaktion. Auf Trix reagierte er amüsiert, zu Mercedes war er höflich, und gegen Ashling schien er eine klare Abneigung zu hegen. Doch Lisa begegnete er mit Respekt und Anteilnahme. Sogar mit Bewunderung. Und dazu hatte er auch allen Grund. Sie war in dieser Woche noch früher aufgestanden als sonst und hatte sich noch mehr Mühe mit ihrem ohnehin schon gepflegten Äußeren gegeben, indem sie mehrere hauchdünne Schichten einer Bräunungscreme auflegte, die ihrer Haut ein goldenes Leuchten verlieh.

Lisa machte sich keine Illusionen über ihr Aussehen. In ihrem natürlichen Zustand - in dem sie sich schon lange nicht mehr gezeigt hatte - war sie durchschnittlich hübsch. Doch mit großem Aufwand konnte sie sich von einer attraktiven Frau in eine atemberaubende verwandeln.

Abgesehen von der Aufmerksamkeit, die sie normalerweise ihrem Haar, ihren Nägeln, ihrer Haut, ihrem Make-up und ihrer Bekleidung widmete, nahm sie enorme Mengen an Vitaminen ein, trank sechzehn Gläser Wasser am Tag, schnupfte nur ganz selten Kokain und ließ sich alle sechs Monate Botulin in die Stirn spritzen, das die Muskeln lähmte und für ein faltenfreies Aussehen sorgte. Seit zehn Jahren war sie permanent hungrig. So hungrig, dass sie es kaum noch bemerkte. Manchmal träumte sie davon, ein dreigängiges Menü zu essen, aber die Menschen träumten ja von den merkwürdigsten Dingen!

Obwohl Lisa ein gutes Selbstbewusstsein hatte, was ihr Aussehen anging, musste sie zugeben, dass ihr der Anblick von Jacks Freundin einen kleinen Schock versetzt hatte. Sie hatte angenommen, sie würde gegen eine Irin antreten, was ein Kinderspiel gewesen wäre. Trotzdem, sie war nicht sonderlich entmutigt. Jack seiner leidenschaftlichen, exotischen Freundin zu entreißen war in ihrem gegenwärtigen Leben eine eher geringe Herausforderung.

Eine Wohnung zu finden hingegen war viel schwieriger. Jeden Tag hatte sie sich nach der Arbeit Wohnungen angesehen, doch bisher war auch nichts halbwegs Akzeptables dabei gewesen. An diesem Abend wollte sich eine Wohnung in Christchurch besichtigen, die sich gar nicht schlecht anhörte. Zwar war die Miete hoch, aber die Wohnung befand sich in einem modernen Mietkomplex und war von der Redaktion zu Fuß erreichbar Der Nachteil war, dass sie die Wohnung würde teilen müssen, und das hatte Lisa schon lange nicht mehr gemacht, besonders nicht mit einer Frau.

Die Wohnungsbesitzerin hieß Joanne.

»Von hier aus kann man zur Arbeit laufen, und das ist fantastisch«, sagte Joanne begeistert. »Man spart ein Pfund zehn für den Bus.«

Lisa nickte.

»Das sind zwei Pfund zwanzig am Tag.«

Lisa nickte wieder.

»Und das sind elf Pfund in der Woche.«

Diesmal kam Lisas Nicken eher zögernd.

»Insgesamt sind das vierundvierzig Pfund im Monat. Über fünfhundert Pfund im Jahr. Ach ja, die Miete. Ich nehme eine Monatsmiete als Kaution, zwei Monate im Voraus, und zweihundert Pfund zur Sicherheit, falls Sie abhauen und mir eine riesige Telefonrechnung dalassen.«

»Aber -«

»Und normalerweise kriege ich von Ihnen dreißig Pfund in der Woche für Lebensmittel. Milch, Brot, Butter, diese Sachen.«

»Ich trinke keine Milch -«

»Aber für den Tee!«

»Ich trinke keinen Tee. Ich esse auch kein Brot. Und Butter nehme ich nie.« Lisa legte die Hand auf ihre schlanke Hüfte und musterte Joannes ziemlich breite. »Außerdem, wie viel Milch können Sie denn für dreißig Pfund kaufen? Sie halten mich wohl für blöd.«

Als Lisa wieder auf der Straße stand, war sie deprimiert. Sie vermisste London so sehr. Dublin und die ganze Wohnungssuche waren ihr zuwider. Sie hatte eine schöne Wohnung in Ladbroke Grove und würde alles darum geben, wenn sie da jetzt sein könnte.

Und wieder wurde sie von einem Gefühl der Erschöpfung und der Fremdheit übermannt. In London war sie fest verwoben mit dem eleganten Leben ihrer Szene, aber hier kannte sie niemanden. Und wollte auch niemanden kennen.

Sie fand die Menschen so furchtbar. Niemand kam pünktlich in diesem schrecklichen Land, und irgendjemand hatte sogar die Dreistigkeit gehabt zu sagen: »Der Mann, der die Zeit gemacht hat, hat viel davon gemacht.« Als Zeitschriftenredakteurin war es ihr Privileg, zu spät zu kommen.

Niedergeschlagen machte sie sich auf den Weg zu ihrem grausigen Hotel und wünschte sich, Trix hätte für heute Abend ein Essen mit einem halbwegs berühmten Menschen vereinbaren können.

Freie Zeit zu haben war ihr zuwider. Ihre Fähigkeit, damit umzugehen, war verkümmert. Aber so war es nicht immer gewesen - sie hatte zwar auch früher viel gearbeitet und wurde von ihrer Zielstrebigkeit getrieben, aber damals hatte es mehr in ihrem Leben gegeben. Das war, bevor sie angefangen hatte, immer über die Schulter zu blicken und hinter sich die Massen junger Frauen zu sehen, die jünger, smarter, zäher und ehrgeiziger waren als sie, woraufhin ihr Leben sich in eine einzige Tretmühle verwandelt hatte.

Am Wochenende hatte sie noch ein paar Besichtigungstermine, so würde die Zeit schnell genug vergehen. Und morgen würde sie zwei Friseure ausprobieren; bei dem einen würde sie sich die Haare tönen lassen, bei dem anderen schneiden. Der Trick bestand darin; die Friseurläden so an sich zu binden, dass sie immer einen kurzfristigen Termin bekommen konnte, wenn nicht bei dem einen, so doch bei dem anderen.

Sie schloss einen Pakt mit sich selbst. Sie würde sich ein Jahr geben, um aus diesem Witzblatt einen durchschlagenden Erfolg zu machen, dann mussten die Mächtigen bei Randolph Media einfach ihren Anteil daran erkennen und ihn honorieren. Vielleicht ...

Nach drei rasch hinuntergestürzten Drinks wollte Ashling gehen, aber Trix bat sie inständig zu bleiben. »Komm schon, wir saufen uns die Hucke voll und ziehen über alle im Büro her!«

»Ich kann nicht.«

»Doch, du kannst es«, bedrängte Trix sie ernst. »Du musst es nur versuchen.«

»Das meine ich nicht.« Aber irgendwie hatte Trix Recht. Obwohl Ashling Hässliches dachte, sprach sie es selten aus, weil sie den nagenden Verdacht hatte, dass so etwas die Runde machen und auf sie zurückfallen würde. Allerdings hatte es keinen Zweck, das Trix zu erklären, die würde einfach nur lachen.

»Ich bin mit meiner Freundin Clodagh verabredet.«

»Sag ihr, sie soll herkommen!«

»Das geht nicht. Sie hat zwei Kinder, und ihr Mann ist in Belfast.«

Erst dann ließ Trix sie gehen.

Ashling schlängelte sich durch die Feierabendmenge und hielt ein Taxi an. Eine Viertelstunde später war sie bei Clodagh, wo sie Pizza aßen, Wein tranken und gnadenlos über Dylan herzogen.

»Mir stinkt es, wenn er zu diesen Essen und Konferenzen fährt«, beschwerte sich Clodagh. »Und ich finde, er hat viel zu viele von diesen Terminen.«

Das blieb einen Moment im Raum stehen, bis Ashling besorgt sagte: »Meinst du, er... führt was im Schilde?«

»Nein!« Clodagh kicherte. »So meine ich das nicht. Ich meine einfach nur, ich beneide ihn um seine ... seine Freiheit. Ich sitze hier mit den beiden, und er ist in einem schicken Hotel und kann die Nacht ungestört schlafen und ist einfach für sich. Was würde ich nicht geben ...« Sie beendete den Satz nicht.

Später, im Bett, nachdem sie ängstlich alle Türen und Fenster verriegelt hatte, dachte Clodagh über das nach, was Ashling gesagt hatte. Ob Dylan was im Schilde führte. Das würde er doch nicht tun, oder? Eine Affäre mit jemandem? Oder ab und zu eine anonyme Bettgeschichte? Schnell, leidenschaftlich und namenlos? Nein, sie wusste, dass er das nicht tun würde. Abgesehen von allem anderen würde sie ihn umbringen.

Aber irgendwie erregte sie der Gedanke, dass Dylan mit einer anderen Frau schlafen könnte. Sie dachte darüber nach und gab sich ihren Fantasien hin. Würden sie es so machen wie sie und Dylan? Oder wären sie erfindungsreicher? Wilder? Schneller? Leidenschaftlicher? Sie malte sich die Sexszenen aus, ihr Atem beschleunigte sich, und als sie so weit war, verhalf sie sich zweimal zu einem schnellen, intensiven Orgasmus. Dann schlief sie tief und zufrieden, bis sie geweckt wurde, weil Molly Pipi machen musste.

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